Das Konzert, aufgenommen am 29.9.17, während der Ausstellung von Susanne und Michael Guzei, im Artopia Wien, markiert den Beginn meiner Beschäftigung mit dem Kamele n`Goni.
Gespielt aus dem Vertrauen des Anfängergeistes, dass bereits die kleinste Knospe die Vollendung an sich ist. Dieses, ursprünglich in Westafrika beheimatete Instrument, begleitet mich jetzt in einen neuen Abschnitt, in eine neue Lebensqualität.
Nach jahrzehntelanger Krankheit mit drastischen Auswirkungen gegen Ende zu, konnte die neue Hepatitis-C -Therapie gerade noch rechtzeitig mich schließlich gesunden lassen. Mit diesem neuen Lebensgefühl wechselte ich auch das mich begleitende Instrumentarium. Mein bisher bevorzugtes Musikinstrument, das Kayagum – die koreanische Wölbbrettzither – hat mich durch die energieschwache Zeit geführt und mich aufgebaut, durch meine Freude am Spiel. Diesem Lebensverlängerer, dem zwölffach besaiteten hölzernen Heiland gebührt mein aufrichtiger Dank.
Geschichten aus dem alten China erzählen Bestätigendes und dabei dreht sich kein Unsterblicher im Grabe um. In ihrem Bemühen um Lebensverlängerung praktizierten die taoistischen Eremiten das Hören des Ohrenlichtes, ein erleuchtendes nach Innen Hören. Zur Hilfe nahmen sie dabei die Gujin – die chinesische Wölbbrettzither.
Nun lehnt meine Zither aber an der Wand und statt dessen erklingt die n`Goni zusammen mit der Fujara, einer slowakischen Obertonflöte. Die Kürbiskalebasse und der Holunderstamm.
Von Michael Guzei stammen alle fotografischen und videotechnischen Arbeiten.
Auf dem Berg Koya-san, dem Zentrum des japanischen Shingon Buddhismus (Mantrayana), befindet sich der Okuno-in. Ein großer Friedhof mit über 200.000 Grabsteinen, die meisten davon in Form von Stupas (jap. Gorin-to), inmitten eines Waldes voller gigantischer japanischer Zedern, manche bis zu 600 Jahre alt. Gedenksteine für prominente Mönche, aber auch Begräbnisstätten von weltlichen historischen Größen, Künstlern, Herrschern, Samurais und dem Firmengrab von Panasonic corporation . Auch ein Insektenvertilgungsmittelhersteller hat eine Andachtsstätte gestiftet für die Opfer seiner Produkte. Am Ende eines traumhaften 2 km langen Weges liegt das Mausoleum des Shingonbegründers Kobo Daishi (Kukai), beleuchtet von Lampenlichtern, die seit seinem Tod vor über 1000 Jahren ununterbrochen brennen.
Viele denken, dass es keine Toten gibt auf diesem Friedhof, nur Wartende. Mit ihnen ist Jizo (Sanskrit: Ksitigarbha Bodhisattva, der Mutterschoß der Erde). Er ist die Personifikation jener erleuchteten Qualität, die bis in die Unterwelt wirkt. Sein Gelübde ist, niemanden abzuweisen und alle von ihrem Leiden zu befreien. Er ist der Patron der Verstorbenen, der Spieler, der Reisenden, jener die in höllische Zustände geraten sind und im speziellen der abgetriebenen Kinder. Darum werden den Jizo-Steinskulpturen reuevoll Kinderwollhauben aufgesetzt und Lätzchen umgehangen.
Die meisten Stupas bestehen aus 5 Teilen, welche die Elemente Erde, Wasser, Feuer, Wind und Raum repräsentieren. Jedem Element wird dabei ein Siddham Schriftzeichen zugeschrieben und eingraviert in den Stein. Mit diesen Samensilben kristallisieren sich die Inhalte von Buddhas oder Bodhisattvas, Sutren, aber auch der einzelnen 5 Elemente zu jeweils einem Klang.
Als eine tantrische Praxis nützt das Mantrayana alle unsere Sinne auf dem Weg zum Erwachen und zählt dadurch sicher zu den kunstreichsten Traditionen innerhalb der gesamten buddhistischen Welt. Einen beeindruckenden Einblick darüber gibt der Schweizer Mönch Kurt Kubli Genso auf youtube „Happiness: understand your own mind – Koyasan“.
Die Fotos des Okuno-in vom Koya-san entstanden im April 2016. Meine Musik, ausgeführt auf Kayagum und Rollpiano, ist der Versuch der Vergegenwärtigung von Jizo Bodhisattva. Es beinhaltet sein Gelübde, seine Anrufung und die fünf Elementesilben.
Die Musik zu dieser Kurzversion des Herzsutras will einen Zugang aufzeigen, zum Inhalt des Sutras wie zu der Praxis die diesen verwirklichen lässt.
Der in Sanskrit vorgetragene Text beginnt mit der Anrufung des Sutra-Namens und setzt fort mit der Lehre von der Leerheit. Leerheit ist nichts anderes als Form, und Form ist nichts anderes als Leerheit. Ebenso sind auch Empfindungen, Unterscheidung, gestaltende Faktoren und Bewusstsein leer.
Der Text endet mit dem Mantra: Gate, gate, paragate, parasamgate, bodhi svaha. Grob übersetzt: Hinüber, hinüber, gänzlich hinüber, alle gemeinsam zum anderen Ufer, so sei es.
Sicher reicht allein unsere intellektuelle Bemühung, diesen scheinbar rätselhaften Text zu verstehen, nicht aus. Dazu wird eine besondere Denkhaltung benötigt, eine wie sie im Zazen entstehen und sich daraus entfalten kann. Leerheit, die das Fehlen von dauerhafter und selbständiger Substanz ist, entdeckt man allmählich in sich selbst, im Zuge der Umwandlung unserer Kopflastigkeit zugunsten einer intuitiven Sichtweise. Leerheit unterscheidet sich nicht von der Form, also auch nicht von der musikalischen Form. Doch um Leerheit hören zu können, bedarf es auch ein anderes Hören, eines das nicht unterscheidet und sich mit dem Gehörten nicht identifiziert.
„In den Klang eingehen und doch nicht von ihm betört werden“, lautet die Anweisung von Meister Rinzai. Ein Mittel um diese Weisung anzuwenden eröffnet sich mir im freien improvisierenden Musizieren. In den Klang einzugehen bedeutet dabei, im Spiel sich zu vergessen, um so wiedererkannt zu werden vom gesamten Kosmos.
Die Ähnlichkeiten mit Zazen sind offensichtlich:
Fehlen von konventioneller Zweckbestimmung und nicht publikumsorientiert.
Kein anderes Begehren als der Fokus auf den jeweiligen Moment.
Sich weder von Harmonie noch von Missklang betören lassen,
im Vertrauen darauf dass der ursprüngliche Ausdruck nur in jener Sphäre gefunden werden kann welcher einer Unterscheidung in Gefallen oder nicht-Gefallen vorausgeht.
In dem vom Dharma inspirierten Musizieren, ebenso wie im Zazen soll ein ungebundener, freier Geist ermöglicht werden. Während des stillen Sitzens wird der Gedankenfluss nicht bekämpft, jedoch die Neigung an einzelnen Gedankengebilden festzuhalten, sie aus dem Fluß herauszuheben und aufzubauen, wird nicht unterstützt.
Ganz ähnlich mein Zugang zum freien Improvisieren mit Klängen.
Der Neigung eine Spur zu hinterlassen wird widerstrebt, kein Drama mehr, stattdessen das Staunen des Anfängergeistes.
Während dem die Essstäbchen über die koreanische Wölbbrettzither schlittern,
entstehen in jedem Moment zahlreiche Möglichkeiten,
ohne Wahl zu sein ist dabei die Übung.
Und trotzdem geht es in allen beiden Disziplinen um eine gelungene Performance. Um eine stimmige Form, sowie um Freude an der Realisierung, dass alle Töne, wie auch alle Erscheinungen, für eine gewisse Zeit aus der Leerheit auftauchen und dann wieder zu ihr zurückkehren, dass ein fortwährendes Kommen und Gehen von der Einheit zur Vielheit und von der Vielheit zur Einheit herrscht und dass das eine nicht ohne das andere existieren kann.
Die fliegenden Devis sind meinem Video „Dunhuang, die fliegenden Musiker aus den Höhlen der klingenden Sande“ www.kodytek.at entnommen.
unsere performance thematisiert den himmel, zwischen dem zerschlagen seiner gebeine, zum reinen land des unbegrenzten lichtes, bis zu den fliegenden musikern vom rande der wüste gobi.
der himmel, verstanden als spiritueller bereich, ist für viele von uns zeitgenossen ein vager und eher suspekter begriff. so stellt sich die frage nach dem wieso und nach dem standort des himmels.
mit der entdeckung der chinesischen höhlenmalereien von den fliegenden musikern in den höhlen der klingenden sande fand man auch texte aus den ersten jahrhunderten unserer zeitrechnung. diese texte weisen darauf hin daß der himmel nicht weit von uns entfernt ist und daß es einen direkten weg dorthin gibt und sie deuten dabei unmißverständlich auf unseren eigenen geist, unser menschliches bewußtsein. in unserem ursprünglichen freien und reinen geist, den wir alle noch haben aber auf grund falscher ansichten nicht wahrhaben können, soll der grund des himmels liegen. himmlische musik ist demnach der klang der auflösung aller selbsttäuschung. in ikonischer geste laden wir ein, gemeinsam den himmel solange herunter zu zerren bis wir den grund unserer existenz sehen.
in unserem ersten stück ist das satori-gedicht des zen meisters muso soseki (1275-1351 u.Z.) zu hören. mein kayagum wird begleitet von uli faltin auf dem akkordeon.
„jahrelang grub ich in der erde suchte nach blauem himmel wurde aber nur schwerer alles stand still und hinderte sich selbst doch dann ergriff ich eines nachts steine und ziegel und zerschlug mit nachlässiger hand die gebeine des himmels“
hier sind weltenschmerz und himmelsfreuden gleichermaßen überwunden, zerschlagen alle täuschung. diesen habitus der nachlässiger hand führe ich fort als musiziertechnik bei allen stücken auf den wölbbrettzithern. inspiriert von den fließenden formen des vom wind bewegten sandes, so wie es auch den malern erging beim malen der körper und gewänder.
eines nachts wurde es für muso soseki also glasklar. und diese glasklar-klangqualität führt das zweite stück fort. eine glasorgelkomposition von achim willfahrt und dazu einen shomyogesang aus einer tausendvierhundert jahre alten ostasiatischen spirituellen gesangstradition (siehe meinen artikel „shomyo“ in wikipedia oder www.kodytek.at/texte/gesänge), eine anrufung des reinen landes. verschieden gestaltete linien im raum fügen sich mosaikhaft aneinander . ein weitgehend unpersönlicher gesang, in dem sich das ungeborene ausdrücken soll. kein ego-drama mehr, nichts als ein gebiß, das in der luft hängt und sich bewegt. der zuhörer findet seine eigentliche schönheit nur in jenem bereich der einer unterscheidung in schön oder weniger schön vorausgeht. zu sehen ist dabei die auf tafeln gemalte notation der japanischen tendai schule.
zu beginn des 3. stückes dreht sich ein himmlischer lautenspieler im kreis. dhrtarastra ist nach einem chinesischen mythos der hüter der östlichen himmelsrichtung und gleichzeitig der konzertmeister der himmlischen musiker. er hat die eigenheit, daß alle töne die an sein ohr dringen, beim verursacher dieser töne leiden auslösen. da er jedoch kein leiden verursachen will spielt er selbst die laute um die anderen zu übertönen. oder, wie man ihn manchmal auch darstellt, zieht er sich einen helm aus elefantenhaut bis weit über beide ohren. (siehe www.kodytek.at musik/video/dunhuang/ ..mit weit über die ohren gezogem helm).
bald danach fliegen die himmlischen musiker auf die projektionsfläche, „devis“ wie sie auch genannt werden, jene die sich vom duft ernähren. dargestellt auf wandmalereien in den höhlen von dunhuang, einer oase am rande der wüste gobi, an der seidenstraße. gemalt zwischen dem 5. und 14. jhdt.
die höhlen der klingenden sande, sowie ihre umgebung, führen ihren namen zurück auf das merkwürdige geschehen, das entsteht, wenn ganz trockene, ganz runde sandkörner von einer hohen düne herabrollen. forschungen haben gezeigt daß die sandkörner nach einiger zeit des freien rollens sich zu einem gemeinsamen tempo synchronisieren, vermutlich auf grund eines resonanzeffektes. dabei kann es zu einem dröhnen von bis zu 100 decibel kommen.
die vom wüstensand bis zu ihrer entdeckung im jahre 1903 gut konservierten schriftrollen zitieren das große weisheits-sutra: „form ist leerheit, leerheit ist form, form ist nicht verschieden von leerheit, leerheit nicht verschieden von form“. zu den projizierten schriftzeichen aus der tang-dynastie singe ich einen abschnitt dieses (herz-) sutras in seiner ursprungssprache sanskrit, dazu das spiel auf dem kayagum, einer koreanischen wölbbrettzither und der khene, einer laotischen mundorgel. dazu tanzt bea von schrader.
vor den anfang des vierten stückes wird ein zitat von wu kei, einem chinesischen kunstkritiker aus dem 12. jhdt. gestellt (gescrollt):
„beim dichten wie beim musizieren, gibt es nur eine schwierigkeit: flaches und fades hervorzubringen. denn man weiß, daß die flachheit „sich bis in die tiefe erstreckt“, daß die fadheit die „fülle“ enthält.
danach erscheinen die ältesten der malereien, der film führt auch in meinen skulpturengarten und zeigt die von mir gestalteten stupas, stengel vom lotus des raums. als garuda (mythischer götterbote)) maskiert, verquirle ich die auf den gebetsventilator gemalten samen(klang-)silben in den himmel. verstanden als eine anrufung des mutterschoßes des unbegrenzten raumes. drei schläge auf der in korea stehenden größten trommel der welt beenden diese komposition. zu hören war die zugespielte mundorgel „sho“ von achim willfahrt, dazu von mir die hichiriki und ryuteki, oboe und flöte des gagaku orchesters, der spirituellen klassischen musik japans.
das fünfte stück beinhaltet eine anrufung der personifikation des mitgefühls. eine musikalische praxis ostasiatischer spiritualität, die schon zur zeit der höhlenmalerei sehr beliebt war. diese angerufene qualität wird als unser inneres potential und als eine brücke zum himmel gesehen. gemalt wurde sie als tausend hände mit augen. dazu mein spiel auf dem ajäng, einer anderen koreanischen wölbbrettzither, und ein weiteres instrument vom selben typus wie sie auch in den malereien von den fliegenden musikern gespielt wurden: zithern, mundorgeln, oboe und flöte etc.
über die musik der damaligen zeit erzählt man sich folgenden brauch: einmal im jahr versammelte sich der weisenrat vor einer quelle. während einer von einem astrologen exakt festgelegten zeitspanne, lauschte man mit großer aufmerksamkeit den geräuschen der wassertropfen. die melodie die sie dabei hörten wurde darauf für ein jahr die melodie des landes.
mit dem 6. und letzten stück zeigen wir auf unseren alltagsgeist, den hüter des himmels. himmel und erde, oben und unten und alle anderen gegensatzpaare haben einen gemeinsamen ursprung, nämlich unseren eigenen geist. darum sind sie unbeständig und leer von einem selbstständigen sein. ist der geist erkannt, sind alle dinge erkannt. ist der geist befreit, sind alle dinge befreit.
bea von schrader spielt auf dem elektronischen instrument theremin zu den geräuschen einer großbaustelle. ich tanze vor der trommel.
ein mitschnitt der performance „das reine land der fliegenden musiker aus den höhlen der klingenden sande“ aufgeführt am 31.5.2014 im urhof20, in grünbach am schneeberg.
konzept, film, musik: werner kodytek tanz: bea von schrader videoschnitt, kamera: michael guzei kamera: daphne schrader