Archiv des Autors: kodytek

ÜBER DIE SAMENSILBEN

Nordseite de A Halle der Shunya S. Vihara

Meine Musik betont das nach Innen hören. Ein hören in Richtung Ohrenlicht. Dabei ist es die freie Improvisation die es mir ermöglicht der Quelle des Inspirationsflusses näher zu kommen.
Was ist das was musiziert, genauso wie das Koan: wie klingt das Klatschen einer einzelnen Hand, sind Aufgabestellungen die eine essenzielle Verdichtung braucht um gelöst werden zu können.
Während meines Studiums der spirituellen Musik Japans bin ich erstmals dem Konzept der Keimsilben oder Samensilben begegnet. Spezielle Silben (bijas), jede mit eigenem Schriftzeichen (siddham), werden als Metapher verstanden für den Ursprung und Ursache im weitesten Sinne aller Dinge, auch aller Klänge.
Alles was künftig erklingen mag ist demnach als Samensilbe bereits angelegt. Dieses Konzept hat seinen Anfang genommen mit den alten, zunächst mündlich überlieferten indischen Veden (1500-800 v.Chr.) und wurde Teil der brahmanischen Wissenschaft von Zeichen und Klängen. Es wurde danach vom Buddhismus übernommen und während dessen Expansion von Indien nach Tibet, China, Korea und Japan getragen.
Zusammen mit den Samensilben wanderten auch Gesangs – und Rezitationsstile über diesen weiten asiatischen Raum. Mit jedem neuen Land veränderte sich ihr Klang,- bedingt durch die Verschiedenartigkeit der konditionierten Lautbildung der jeweils unterschiedlichen Sprachen. Es mag an die Ergebnisse unserer kindlichen „Stille Post“ Spiele erinnern, wenn man die Endfassung in Japan mit der anfänglichen Lautgestalt in Indien vergleicht.
Die Visualisierung der Samensilben-Zeichen/Kaligraphien, in der Kontemplation, hat eine lange Tradition und fördert ebenso die Anbindung an das große Potential. Der Silbe A kommt dabei besondere Bedeutung zu. Als erste Silbe des Alphabets symbolisiert sie den Gesamtklang aller Silben, so wie auch die Null allen anderen Zahlen zugrunde liegt. Ihr wahres Wesen wird jedoch als leer und ungeboren verstanden. Letztlich wird das gesamte Universum als Ausdruck für die volle Entfaltung aller Bedeutungen der Silbe A gesehen. Als grundlegende „Stimme“ aller Dinge enthält sie auch die ursprüngliche Lebenskraft, die alle Dinge durchdringt.
Für meine eigene Klangschöpfung ist die Anbindung an derartigen Betrachtungen sehr hilfreich. Die Frage „was ist das was musiziert“ wird damit theoretisch greifbarer. In der praktischen Umsetzung bedeutet es für mich, beim musizieren mich mit allem verbunden zu wissen und damit vom gesamten Universum wiedererkannt zu werden.

DER KLANG DER BAMBUSFLÖTE KEHRT ZURÜCK IN DEN BAMBUSWALD

synth.drum: robbie litvai           ryuteki – japanische gagaku flöte: werner kodytek

 

 

Wissen wanderte nach Norden an die Ufer des Dunklen Wassers. Dort stieg er auf den Berg der Verborgenen Auffälligkeit und traf zufällig Blödes Nichthandeln. Wissen sagte zu Blödes Nichthandeln: „Es gibt da einige Fragen, die ich Euch gerne stellen würde. Durch welches Sinnen und welches Nachdenken können wir den ‘Weg’ erkennen? Wo muß man wohnen und wie muß man dienen, um sicher im ‘Weg’ gegründet zu sein? Von welchem Ausgangspunkt aus und mit welchen Mitteln können wir den ‘Weg’ verwirklichen?“ Er stellte diese drei Fragen,
aber Blödes Nichthandeln antwortete nicht. Nicht nur, daß er nicht antwortete, er wußte nichts zu antworten.
Da er mit seinen Fragen kein Glück gehabt hatte, ging Wissen wieder nach Süden bis zum Weißen Wasser. Dort stieg er auf den Berg Einsame Umgrenzung und bekam den Verrückten Stammler zu fassen. Wissen stellte dem Verrückten Stammler dieselben Fragen. „Aber ja“, sagte Verrückter Stammler. „Ich kenne die Antworten, und ich werde sie Euch verraten.“ Aber kaum hatte er begonnen zu sprechen, hatte er auch schon vergessen, was er sagen wollte.
Da er mit seinen Fragen kein Glück gehabt hatte, ging Wissen zurück zum Kaiserpalast, wo er den Gelben Kaiser traf und ihm dieselben Fragen stellte.
Der Gelbe Kaiser sagte: „Sinne nicht und denke nicht nach – erst dann magst du beginnen, sicher im ‘Weg’ gegründet zu sein. Habe keinen Ausgangspunkt und bediene dich keiner Mittel – erst dann magst du beginnen, den ‘Weg’ zu verwirklichen.“
Wissen fragte den Gelben Kaiser und sagte: „Du und ich, wir kennen die Antwort, aber jene zwei kannten sie nicht. Wer hat nun recht?“
Der Gelbe Kaiser sagte: „In Wirklichkeit hat Blödes Nichthandeln recht. Verrückter Stammler scheint recht zu haben, aber du und ich, wir liegen weit daneben und kommen an letzter Stelle. Also: ‘Der Wissende redet nicht; wer redet, der weiß nicht.’ [Daodejing, Kap. 56] Deshalb praktiziert der Weise ein Lehren ohne Worte.“ […]
Wissen sagte zum Gelben Kaiser: „Als ich Blödes Nichthandeln fragte, antwortete er nicht; nicht nur, daß er nicht antwortete, er wußte nichts zu antworten. Als ich den Verrückten Stammler fragte und der mir nicht antwortete, obwohl er gerade dazu angesetzt hatte, da hat er mir nicht nur nicht geantwortet, er hatte auch die Fragen schon vergessen, als er zu antworten begann. Als ich dich fragte, wußtest du die Antwort. Warum hast du gesagt, du lägest weit daneben?“
„Blödes Nichthandeln hatte in Wirklichkeit recht“, sagte der gelbe Kaiser, „weil er nicht wußte.
Verrückter Stammler schien recht zu haben, weil er vergaß. Du und ich kommen als letzte und sind weit daneben, weil wir wissen.“
Der Verrückte Stammler hörte von dieser Antwort und hielt den gelben Kaiser deshalb für jemanden, der zu sprechen versteht.
Zhuangzi

VOM OHRENLICHT (11/20)

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synth. drum: robbie litvai
n`goni und stimme: werner kodytek

Für ein leichteres Verstehen meiner Musik will ich den Begriff Ohrenlicht erläutern. Er ist erstmals in taoistischen Schriften des frühen Chinas aufgetaucht, entstanden aus der alten taoistischen Bemühung das ultimative Lebenselexier zu finden.

„Es gibt ein Augenlicht und ein Ohrenlicht. Das Augenlicht ist das vereinigte Licht der Sonne und des Mondes im Äußeren. Das Ohrenlicht ist der vereinigte Same der Sonne und des Mondes im Inneren. Der Same ist das Licht in kristallisierter Form. Beides hat denselben Ursprung und unterscheidet sich nur durch den Namen. Darum ist Verständnis (Ohr) und Klarheit (Auge) gemeinsam ein und dasselbe wirkende Licht.“

Für mich erschließt sich daraus, dass das Ohrenlicht durch das Hören nach Innen gefunden wird. Die einfachste Herangehensweise wäre es sich fest die Ohren zuzuhalten. Was wir dann hören ist ein Rauschen, das Ergebnis des ständigen Zusammenfließens der vier Elemente: Erde, Wasser, Feuer, Luft. Auch im Prozess unseres Sterbens ergießt sich Erde in Wasser, Wasser in Feuer, Feuer in Luft. In der Urform des buddhistischen Stupa, ursprünglich Grabmal später Symbol für erwachtes Leben, sind diese Elemente durch unterschiedliche Formen verkörpert und ergänzt durch ein fünftes Element nämlich Bewusstsein. Auf manchen der Stupas oder Pagoden sind zuoberst auch noch Sonne und Mondsichel beigefügt. (Bilder der von mir gebaute Stupas sind auf meiner homepage zu finden ). Das Element Luft wird oft in seinem dynamischen Aspekt als Element Wind bezeichnet. Ich verstehe darunter ein umfangreicheres Sinnbild, also mehr als ein Lüftchen. Nämlich Energie, Qi, Lebenswille und zuguterletzt den Flow. Den Kitt der Elemente und der Klänge.

„Schenke dem Himmel Luft und es wird Musik erklingen“.

ÜBER DAS WANGENFLEISCH

Mein Projekt zum Thema „…du musst frei sein“ wurde vom artist in residence Paul Gulda ausgewählt und wird von Musik Aktuell 2020 gefördert.

In meinem Verständnis bedeutet Freiheit eigentlich „nichts zu suchen und nichts zu finden“.
Sie ist in uns ursprünglich angelegt als unsere aller innerlichste Natur. In unserem Geist spiegelt sich diese Freiheit, jedoch auch Unfreiheit.

Unfreiheit ist das Ergebnis unserer dualistischen Sichtweise. Der Unterscheidung in gut oder schlecht, der Trennung zwischen mir und anderem. Wer sich nun bemüht Unfreiheit gegen Freiheit zu tauschen kommt bald an seine Grenzen, weil ja gerade dieses Begehren Auslöser von Unfreiheit ist.

Dieses Thema beschäftigt mich seit Jahrzehnten und hat in Bezug auf mein Musikschaffen seine Vertiefung gefunden während eines einjährigen Studiums der spirituellen Musik Japans, Shomyo und Gagaku, in Kyoto (vor ca. 30 Jahren). Die Frage war: wie kann ich leben und wie musizieren mit geringstmöglicher Identifizierung mit einem illusionären, begrenzten Selbstbild, dem eigentlichen Grund für Unfreiheit.

Ich fand zu einigen Merkmalen: Loslassen von verfestigten, zulassen von befremdlichen, eine Geisteshaltung einnehmen die keine schnellen Bewertungen unternimmt, nicht in erster Linie publikumsorientiert sein, keine Spuren hinterlassen wollen, keine Anerkennung begehren. In der selbstvergessenen Vertiefung, dort wo es keinen Beobachter mehr gibt, erhellt sich die Freiheit von selbst.

Dieser Aufgabenstellung widme ich mich allein über die Improvisation.

MEIN SPIRITUELLES LIEBLINGSBUCH (Ursache & Wirkung)

Obwohl erst vor Kurzem erstanden kann ich „Die Kunst des letzten Augenblicks“ bereits zu meinem Lieblingsbuch ernennen. Todesgedichte japanischer Zen Meister und Sterbegedichte von Haiku Dichtern, erschienen im Herder Verlag.

Diese Gedichte, geschrieben im Bewusstsein des nahen Todes, können auf einer sehr tiefen Ebene berühren. Das gesamte Leben und Streben mit einigen wenigen Worten, heruntergebrochen auf den Tod, schafft Essenz. Die Quintessenz davon lässt ein inneres Glöcklein anklingen.
Diejenigen, die ihr Interesse, dem Tod nicht unvorbereitet zu begegnen, bereits erweckt haben können sich damit über den Staub der Belanglosigkeiten hinaustragen lassen, zu einer weitreichenden Sicht auf ihr Selbst sein. Poesie, die auffordert uns zu befreien, vom schweren Rucksack der Ich-Identifikation, vom Klammergriff auf Seifenblasen.

Vielleicht kann die Schlichtheit der Gedichte aber auch verwundern, angesichts der Größe des Themas.

Wenn es kommt – einfach so!
Wenn es geht – einfach so!
Kommen und gehen ereignen sich jeden Tag
Die Worte, die ich jetzt spreche – einfach so!
Von Musho Josho

Ich weiß nicht ob es einer spirituellen Vorbereitung bedarf um diesen Worten ein offenes Gefäß sein zu können, aber hilfreich ist eine Zen-Vertrautheit dafür ganz bestimmt. „Einfach so“ wird dann zur Aufforderung „die Dinge zu sehen wie sie sind“ Denn der Tod vernichtet nur den Glauben an ein abgetrenntes Selbst, nicht das Leben.

Einen Großteil des kleinen Buches nehmen die Haiku Dichter ein. Dabei steht nicht mehr die Dharmabelehrung im Vordergrund. Und auch wenn die Sterbegedichte oft persönlicher gefärbt sind als übliche Haikus, merkt man bald dass die spezielle Haikuform, auf Grund ihrer konzentrierten Kürze, ihrer Unmittelbarkeit und Bildlichkeit, sich sehr für eine vertiefte Kontemplation eignet.

„Er scheint auf
So leicht, wie er verblasst:
der Leuchtkä fer
Von Chine,gestorben am fünfzehnten Tag im fünften Monat 1688 im Alter von achtundzwanzig Jahren.

Ein Haiku hat immer auch etwas Unvollendetes an sich, denn der Leser soll die Möglichkeit haben nachzufühlen, was unausgesprochen, vielleicht sogar unaussprechbar, mittransportiert wird.

Ein Haiku zu schreiben heißt, eine Knospe hervor zu bringen, ein Haiku zu lesen bedeutet, die Knospe zur Blüte zu entfalten.

Auf einer Reise, krank:
Meine Träume irren
über vertrocknete Felder.
Von Basho der behauptete, jedes seiner Gedichte könne sein Sterbegedicht sein.

Den Gedichten und Haikus geht eine Einführung voraus, von Yoel Hoffmann, Erläuterungen zur Sterbepoesie in der Kulturgeschichte Japans, einer Gattung zwischen Ernst und Humor. Dabei erfährt man dass die Tradition Sterbegedichte zu schreiben nicht unumstritten ist unter den Zen-Praktizierenden und zu satirischen Kommentaren provozierte:
„Nach der Genesung verbessert er den Stil seines Sterbegedichtes. „

Und auch ein Sterbeversager kommt zu Wort:

Ein ganzes Leben lang habe ich mein Schwert geschärft,
Und jetzt, Aug in Auge mit dem Tod,
Zieh ich es aus der Scheide, und da—
Ist die Klinge zerbrochen—
Ach!

Kein anderes Thema als der Tod lässt die Verbundenheit aller lebenden Wesen stärker ins Bewusstsein rücken. Mit allen teilen wir, seit unserer Geburt, die tödliche Diagnose. Aber viel weniger dramatisch wird es sobald wir ahnen dass die Dinge nicht so sind, wie wir sie denken. Für mich erschließt sich aus der Lektüre dass es eine bedingungslose Hingabe an das Leben als Ganzes braucht um schließlich sagen zu können: Ende gut, alles gut.

Werner Kodytek baut Stupas und gestaltet zeitgenössische Musik zu buddhistischen Inhalten. Seine Vertonung von Sterbe -und Erwachungsgedichten koreanischer Zenmeister unter www.kodytek.at /WAKA 1-5.. Eine Video arbeit trägt den Namen „Jizoreich und bezieht sich auf Ksitigarbha Bodhisattva, der in Japan als Wegbegleiter der Sterbenden gilt.

DREI DÖRFER WEITER

Wohnwagen Flugzeug f Homepage


Robbie Litvai: beat and synth
Werner Kodytek: n`Goni und Stimme

Drei Dörfer nach Pusztacsalád, in einem alten Wirtschaftsgebäude eines ehemaligen Nonnenklosters, lebt der  Einsiedler und gottlose Sadhubaba  Robbie Litvai, mit vielen Schafen und einem elektronischen Schlagzeug.

Bei unseren musikalischen Zusammenkünften  schwingt stets  ein Loblied mit auf  den runden Geist, wahnfrei in der Ebene und selbstvergessen zwischen den Wolken.

Wir sagen musizierend: es ist schön, ein stilles Leben zu führen.

Und wir sagen das, eben weil es eigentlich nichts zu sagen gibt (J.Cage).

Und, weil Worte Lügen sind (J.Sasaki Roshi), bevorzuge ich es zu glossolalieren.

HABT VIELEN DANK FÜR ALLE GUTEN WÜNSCHE

Habt vielen Dank für alle guten Wünsche. Meine späte Reaktion ist der Zeitlosigkeit geschuldet, der hier auf Samos nicht zu entkommen ist. Der Grund ist das Meer. Seine Grundierung aus kobaltviolett, ultramarin, kobaltblau, coelinblau, phthalblau, chromoxidgrün und kadmiumgrün, später auch elfenbeinschwarz. Darüber eine Schicht Licht. In der Luft Kräuterhonigduft. Blüten überall, wobei schon eine allein ausgiebig verzücken kann.

Heute Nacht hab ich geträumt einem hohen chinesischen Militärbeamten Mayonnaise auf seinen Uniformkragen geschmiert zu haben. Danach wurde ich verhaftet. Kurz vor der Verurteilung bin ich aufgewacht mit dem Gefühl, einer drakonischen Strafe entkommen zu sein.

Tatsache ist dass nun schon am Donnerstag den 24.5. mein Prostatakrebs operiert wird. Nur ein Routineeingriff für den Roboter der barmherzigen Brüder, sagen jene. Für mich jedoch eine einmalige Gelegenheit für einen letzten Wunsch:

Mögen wir nie nachlassen in der Bemühung um die Kultivierung unserer Herzen.

Meine Feldforschung liegt jetzt im Vorfeld der „Kunst des letzten Augenblicks“ Reizvoll bleibt dabei die Vorstellung, nach einer etwaigen Genesung noch weitere letztere Abschiedstext/wünsche verfassen zu können. Es mag kommen wie es will, ichi  (x)  halte die Ohren steif. Jedoch nicht so wie die Fledermäuse. Sie sehen Geräusche als Licht und sind dann verwirrt wenn es beides gibt.

(x) Ichi – ein sympathischer Schreibfehler dem ich sofort einiges abgewinnen konnte:

Zum einen verbindet er das gemeine Wort „ich“ mit der wienerischen Kurzfassung, welches sogleich eine Gaumensegelspannungslockerung mit sich führt.

Zum anderen ist es eine Übersetzung des englischen Wortes „selfie“ – der Handymanie der Selbstbelichtung.

Außerdem würde auch jeder deutschsprechende Japaner ichi statt ich sagen.

Ichi ist Frage und Antwort zugleich und als Palindrom zu lesen wie einen Lebenslauf: vom Anfang oder vom Ende.